
Als „Herzeleid“ erschien, ahnte noch niemand, dass dieses Album einer bis dato völlig unbekannten Band einmal zur wichtigsten deutschsprachigen Metal-Scheibe überhaupt werden würde. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten schoss das ohrenscheinlich von Laibach, Oomph! und den Krupps beeinflusste Debütwerk dank der spektakulären Live-Shows in die Charts, wo es monatelang verweilte und anschließend mehrmals einen Wiedereinstieg schaffte. Der immense Erfolg verwundert nicht, denn schließlich begründete „Herzeleid“ die Neue Deutsche Härte-Bewegung und setzt deren auch heute noch gültigen Maßstab.
Besondere Erwähnung verdient der direkt ins Mischpult eingespielte, von den beiden Gitarristen Paul und Richard mit simplen Nackenbrecher-Riffs optimal umgesetzte Gitarrensound, für den Clawfinger-Produzent Jacob Hellner verantwortlich zeichnet. Noch markanter klingen die Vocals von Till Lindemann, der bei der Ballade ´Seemann´ zwar kaum einen Ton trifft, ansonsten aber mit tiefem Sprech-Gesang und gerolltem „R“ einen völlig eigenen Stil kreiert. Mit seinen ominösen Metaphern und provokanten Texten verursachte er einen Aufschrei bei der PC-Polizei. Insbesondere die vermeintliche Vergewaltigungsglorifizierung ´Weißes Fleisch´ und der mit der Kreuzigungs-/Auferstehungssymbolik spielende Uptempo-Banger ´Asche zu Asche´ polarisierten. Zusammen mit dem famosen Opener ´Wollt ihr das Bett in Flammen sehen´, der (gefloppten) ersten Single ´Du riechst so gut´, die später noch mal neu aufgelegt wurde, dem poppigen ´Heirate mich´, dem mit irren Synthies gewürzten ´Laichzeit´ und dem morbiden ´Rammstein´ markieren sie die Höhepunkte dieses essenziellen Albums.
MARCUS SCHLEUTERMANN
-----------------------------------------
UNHOLY TODAY
Rammstein haben mich nie kalt gelassen - außer vielleicht musikalisch. Ihre Kreativität und der Sinn für Atmosphäre und ihr ganz eigener Präsentations-Stil sind einzigartig. Es gibt einige fantastische Hits auf späteren Alben, für mich ist nach einmaligem Hören davon hier auf der ersten Platte nicht so wahnsinnig viel zu finden. Klar, der Sound ist großartig, und so klingen die Gitarren hart, durchdacht und aufsehenerregend. Sind sie aber hier eigentlich gar nicht (oder nur kaum).
Manche Dinge passen einfach noch nicht recht zusammen oder sind zu - wenn man das sagen darf - "banal" (was ja sicher in vielen Fällen auf dem Album gewollt ist). Das betrifft sowohl die Musik als auch die Texte, die auf späteren Alben teilweise durchaus raffinierter (mit Ausnahme von "Laichzeit" womöglich) und faszinierender gedichtet worden sind. Achja, die Texte... Schrecklich, aber bei "heirate mich" ist kurzzeitig meine Welt stehengeblieben. Hat mich einfach ziemlich mitgenommen, und ich möchte das Lied weder jemals wieder hören noch jemals wieder daran denken. Ich schätze, Till Lindemann würde das vielleicht stolz machen. Frank Albrecht (Rock Hard) hat in seinem Original-Review 1995 sowas geschrieben wie "Geschichten von bösen Buben" - so kann man es natürlich auch irgendwie sagen, trifft es aber wirklich nicht. Anscheinend überschreiten die meisten Texte hier irgendeine meiner persönlichen Grenzen, und es ist einfach zu heftig, vielleicht auch zu banal - da es Deutsch und klar gesungen ist, kann man sich auch nicht hinter Unverständlichkeit verstecken.
Allerdings macht es hier fast nichts, weil das Album auch ohne Texte nicht so toll ist. Musikalisch ist eigentlich nichts so richtig in Erinnerung geblieben, Hits habe ich keine gehört. "asche zu asche" ist hier doch wesentlich langweiliger als live, "wollt ihr das bett in flammen sehen?" hat zumindest ein cooles Sample, welches das nette Riff ziert.
Damit kann ich natürlich die historische Bedeutung dieser Platte nicht schmälern, will ich auch nicht. Aber bei Licht betrachtet (und ohne Liveauftritte, Image und PR hinzuzurechnen) ist das zwar provokant, interessant, durchdacht, aufreizend politisch inkorrekt, hart - aber irre toll ist es nicht, und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen: uninspiriert. War es von den Künstlern nicht gemeint, klingt aber so.
SAPNISH
2.0/5.0
No comments:
Post a Comment